Wie begegnen Händler*innen aus dem Mittelstand der aktuellen Coronakrise? Diese Frage stellen wir uns und haben mit Frau Marion Kappes eine Ansprechpartnerin gefunden, die ihr Geschäft und ihre Berufung mit ihrem Laden „girls & boys“ in Köln Lövenich auf Kinderschuhe und Accessoires ausgerichtet hat. Ähnlich wie so viele andere Händler*innen in Deutschland ist Frau Kappes natürlich auch von dem Shutdown im Handel betroffen. Wie geht man als mittelständisches Unternehmen damit um und welche Möglichkeiten hat man? Frau Kappes hat eine Initiative gestartet, die zeigt, wie ein mittelständisches Unternehmertum die neue Situation anpackt und trotz der Widrigkeiten einen Weg zu finden versucht, der kundenzentriert ist.
Boris Hedde: Liebe Frau Kappes, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen und schön, dass Sie von Ihrer Geschichte erzählen. Vielleicht dient sie letztendlich auch anderen Händler*innen als Impuls oder Motivation. Aktuell weiß niemand, was morgen passiert. Wie ist grundsätzlich Ihre aktuelle Einschätzung, wenn Sie sich dem Thema Corona annähern?
Marion Kappes: Natürlich beschäftigt mich das Thema schon seit vielen Tagen. Immer mehr Geschäfte müssen geschlossen werden. Ich bin in meinem Einzelhandel sehr abhängig vom Saisongeschäft. Das heißt ich habe jetzt Frühjahr- und Sommersaison. Der Laden ist voll mit neuer Ware, die Rechnungen liegen auf dem Tisch und ich versuche jeden Tag mit der Situation klar zu kommen und mich neu zu motivieren: „Heute hast du noch einen Tag geöffnet, du musst bedienen, du musst Geld reinbekommen.“
Ich bin alleinerziehende Mutter, habe meinen Laden seit 14 Jahren und bin mit viel Herzblut dabei – dieser Laden ist mein Baby, der meinen Sohn und mich am Leben hält. Deshalb muss ich mich jeden Tag neu motivieren und mir etwas einfallen lassen. Ich darf mich nicht vom Coronavirus beeinflussen lassen. Ich muss was dagegen tun. Ein Kredit von der Bank nützt mir nichts, weil ich den abzahlen muss, was ein riesiges Loch in meine Finanzen bringt. Aber es bringt auch nichts, zu warten, dass mir jemand anders hilft. Ich muss selbst gucken, dass ich aus der Lage rauskomme. Deshalb habe ich diese Initiative ergriffen und freue mich, dass die Resonanz so positiv ist.
Boris Hedde: Sie haben Ihre Initiative „in schönen neuen Kinderschuhen dem Coronavirus entgegengehen“ genannt. Vielleicht sagen Sie nochmal genau, was Sie sich ausgedacht haben und welche Ansprache auch an Ihre Kunden Sie gewählt haben.
Marion Kappes: Wir im Einzelhandel haben das Problem Internet. Es frisst sehr viel und hat immer das größte Stück vom Kuchen. Jetzt kriegen die noch ein Sahnehäubchen obendrauf. Die kleinen lokalen Läden, die auch von vielen Kund*innen gewollt sind und auch ich wollen natürlich weiter unterstützt werden. Ich glaube, dass ich genug Erfahrung habe und meine Beratung kompetent genug ist, um diese Aktion, die ich jetzt erklären werde, anzubieten.
Für mich ist es wichtig, dass Kinderschuhe perfekt sitzen. Ich brauche die Größe und Breite der Kinderfüße. Wir führen in unserem Geschäft auch Kundenkarteikarten, in denen wir unsere Schuhe, die wir verkauft haben, notieren. Daran kann ich sehen, welche Art von Schuhen – breiter oder schmal geschnitten – die Kund*innen schon gekauft haben. Wir haben einfach einmal eine E-Mail an unsere Kunden geschickt und auf Facebook unser Angebot gepostet: Die Füße werden einfach auf einem Stück Papier vermessen. Die Zentimeterangaben Ferse bis zum längsten Zeh oder die Breite werden mir per Mail zurückgeschickt oder telefonisch durchgegeben. Ich bin bereit für meine Kunden und gehe jeden Tag in den Laden. Ich sitze nicht tatenlos zuhause auf der Terrasse, sondern ich möchte etwas bewegen. Ich fotografiere den Kund*innen daraufhin eine Auswahl an Schuhen. Wir besprechen, was ihnen gefällt, wie teuer das ist. Die Schuhe schicke ich ihnen zu, nachdem die Zahlung eingegangen ist. Ich bezahle die Versandkosten, das ist sozusagen mein Dankeschön dafür, dass meine Kunden mir erhalten bleiben oder auch Neukunden werden.
Boris Hedde: Ich finde diese Aktion sehr schön. Wir sind in ihrer Kundenkartei offenbar auch als Familie gewesen und sind darauf aufmerksam geworden. Wir fühlten uns in der Vergangenheit immer sehr wohl, als wir bei Ihnen Schuhe kauften. Sie sagten die Resonanz ist gut. Wie macht sich das bemerkbar bei Ihnen?
Marion Kappes: Die Aktion wurde mehrfach bei Facebook geteilt – ich habe mittlerweile fast 4.000 Personen erreicht. Ich habe dafür nur wenig Werbung gemacht und auch nichts dafür ausgegeben. Ich werde gefragt ob es auch per Fax sein darf oder mir werden die Daten auf Facebook in den Kommentaren durchgeben. Eine Mutter hat mich beim Facebook Messenger angeschrieben und gefragt, ob auch Mütter, die weiter entfernt wohnen, das Angebot in Anspruch nehmen können. Ich freu mich über jeden Zuspruch und natürlich freue ich mich über jeden Schuh, den ich verkaufen kann. Aber nicht nur, weil ich damit mein Geld und meinen Lebensunterhalt verdiene, sondern weil ich das sehr gerne mache. Und wenn Sie mit ihrer Familie in meinem Geschäft waren, haben Sie mich auch persönlich kennengelernt: Das schönste sind für mich begeisterte Kinderaugen und natürlich zufriedene Eltern.
Boris Hedde: Jetzt kommen Ihnen die Daten, die Sie über Jahre gesammelt haben, zugute. Seit wann machen Sie das und wie gehen Sie damit weiter um? Im Prinzip war das für Sie der entscheidende Hebel zu Ihren Kund*innen. Wie ist der Prozess, den Sie umsetzen? Wie gehen Sie mit den Kundendaten um und wie bekommen Sie die Daten?
Marion Kappes: Wir haben 2007 das Geschäft eröffnet und irgendwann kam mir die Idee, die ganzen Kundendaten aufzunehmen, weil ich zweimal im Jahr eine Rundmail gebe und dabei meinen Sale bekannt gebe und damit meist Gutscheine verschicke. Dann sind öfter Mütter alleine gekommen ohne Kinder und wussten nicht mehr, welche Schuhgröße ihr Kinder beim letzten Kauf hatten. Dadurch, dass wir die Schuhe jedes Mal notiert haben – eine zusätzliche Arbeit – konnte ich dem Kunden weiterhelfen. Das ist für mich ein Stück Kundenservice. Ich muss mich in der heutigen Zeit mit Kundenservice und Kundenpflege vom Internet abheben und das kommt uns heute hoffentlich zugute.
Boris Hedde: Die Aktion „in schönen Kinderschuhen dem Coronavirus entgegengehen“ finde ich eine tolle Initiative. Vielleicht ist sie auch ein Vorbild für andere. Nicht nur Schuhhändler*innen sondern auch für andere Geschäftsmodelle im Handel. Es geht jetzt darum, die Ärmel hochzukrempeln und neue Wege zu finden. Sie haben ein sehr schönes Beispiel dafür gebracht. Hätten Sie einen Aufruf für Ihre Kolleg*innen?
Marion Kappes: Natürlich! Ich finde niemand sollte sich jetzt hängen lassen. Das Leben geht weiter. Wir müssen nach vorne schauen und sollten einander helfen. Wenn jemand eine ähnliche Aktion gestartet hat, würde ich diese meinen Kund*innen gerne weiterempfehlen. Ich möchte nicht gegen das Internet reden, aber natürlich ist es nicht mein Freund. Ich freue mich über jeden, der dem Einzelhandel treu bleibt und einen Weg findet, die Leute zu unterstützen, die mit Herzblut dabei sind. Ich hoffe, dass das wirklich gut ankommt.
Boris Hedde: Wir wünschen es Ihnen von Herzen. Wir werden das Angebot mit unserer Tochter ausprobieren – erwarten Sie unsere Fußinformationen. Herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben und Ihre Geschichte mit uns geteilt haben. Der Mittelstand braucht mehr Leute wie Sie!
Boris Hedde ist seit 2009 Geschäftsführer des IFH Köln. Schwerpunkte seiner Arbeit sind forschungsbasierte Evaluationen sowie Handlungsansätze in den Bereichen Konzeption und Transformation.