In vielen Beiträgen der Fachmedien wird darüber beraten, wie man verhindern kann, dass die großen Plattformen mehr und mehr den Kunden übernehmen. Wir wollen in diesem Beitrag einige Irrtümer aufdecken, die als Grundthese die Diskussion oft in eine falsche Richtung lenkt.
Irrtum Nr. 1: Wem gehört der Kunde?
Der stationäre Handel ist in Alarmstimmung: Amazon, Alibaba oder Zalando nehmen uns den Kunden weg! Sie kennen das Kundenverhalten wie kein anderer und bespielen ihn dann mit entsprechenden Angeboten, die aus diesen Learnings generiert werden. Wir erlauben uns an dieser Stelle folgende Frage zu stellen: Hat der stationäre Handel den Kunden überhaupt jemals besessen? Sind wir doch mal ehrlich: Nur die wenigsten Händler kennen ihre Kunden mit Namen, geschweige denn, dass sie ihre Vorlieben kennen. Wenn man das wissen wollte hat man sich auch nur mittelbar mit dem Kunden beschäftigt: Es wurde eine Marktforschung oder ein Loyalty-Provider beauftragt. Damit steht derjenige, der dann den Touchpoint (=Kontaktpunkt) zum Kunden bespielt, nicht mal mehr auf der Payroll des Handels. Der Handel hat damit das Wissen über den Kunden schon seit Jahren aus der Hand gegeben.
Es gibt natürlich Ausnahmen: Der kleine Buchhändler, der Weinhändler oder die Apotheke an der Ecke. Leider alles Formate, die mehr und mehr den Markt verlassen.
Irrtum Nr. 2: Den Kunden zum Fan machen
Viele denken, dass Steve Jobs es allen gezeigt hat: Wie man Kunden zu Fans macht. Menschen campieren tagelang vor einem Laden, um das teuerste Smartphone der Welt zu ergattern. Die Produkte wurden zugeteilt, nicht vertrieben.
Genau das wünscht sich jeder, klappt aber nur bei diesen „Einhörnern aus Silicon Valley“. Trotzdem beobachten wir Formate, die eine ähnlich loyale Kundschaft haben wie das Unternehmen mit dem Apfel. Ein Beispiel ist das aufstrebende eFood-Startup Picnic, das nach dem erfolgreichen Start in den Niederlanden nun in Deutschland startet. Anfangs haben wir nicht verstanden, wie man bei gleichen kaufmännischen Rahmenbedingungen der Wettbewerb trotzdem erfolgreicher sein kann. Mittlerweile kennen wir das Rezept, das derartigen Unternehmen eine hohe Kundenbegeisterung beschert:
„Man kann Kunden nicht zu Fans machen, sondern muss Fan seiner Kunden werden“
Dieses Muster ist bei vielen Unternehmen zu erkennen, die den Markt disruptiv verändert haben. Dazu gehört neben MyTaxi, AirBnB natürlich auch Amazon.
Irrtum Nr. 3: Kunden kann man binden
Welche Antwort geben Sie einem Verkäufer, der Ihnen durch bestimmte Goodies (=Anreize) signalisiert, dass er Sie an sich binden will? Die Antwort sparen wir uns doch lieber. Wir kennen sie jaaus unserem Privatleben: Eine Bindung, die auf Nutzen basiert, hat nie eine lange Lebensdauer. Sobald der Nutzen woanders größer scheint, ist die Bindung beendet.
Wenn man das Wort Bindung durch Beziehung ersetzt, wird der rationale Aspekt durch Emotionalität ersetzt. Der emotionale Faktor setzt das Bindungshormon Oxytocin frei, das wesentlich stärker wirkt als klassische Loyaltyprogramme. Erfolgreiche Unternehmen sorgen dafür, dass sie eine Präsenz im Leben ihrer Kunden haben. Dazu muss man radikal umdenken, wie es der amerikanische Schuhversender Zappos (Motto: Delivering Happiness) praktiziert. „Wir sind nicht die Billigsten, aber die Besten“ ist ein Slogan von CEO Tony Hsieh. Service wird ausgesprochen groß geschrieben, und das ist bei den serviceverwöhnten Amerikanern sicherlich schwieriger als bei uns. „Wir sind ein Serviceunternehmen, das zufällig Schuhe verkauft“. Wer so dick aufträgt, sollte schon gute Ideen haben, um diesem Anspruch auch gerecht zu werden. Hier mal ein kleiner Auszug aus der Philosophie:
- Wenn ein Artikel nicht lieferbar ist, helfen Call Center Mitarbeiter dem Kunden, den Artikel beim Wettbewerber zu bekommen. Konkret: Sie schicken den Kunden zur Konkurrenz.
- Das Call Center wird sehr groß geschrieben in den Werbungen gibt es keinen Bestell-Link, sondern nur die Telefonnummer.
- Zappos hat zwar einen Facebook und Twitter Auftritt, hält aber das persönliche Gespräch für das einzig wahre soziale Medium.
- Mitarbeiter bekommen eine Prämie, wenn sie in der Probezeit aussteigen. So wird sichergestellt, dass nur engagierte Mitarbeiter an Bord sind.
- Es fallen generell keine Versandgebühren an, man darf die Ware 365 Tage kostenlos zurückgeben.
Wer siegen will, muss andere gewinnen lassen
Es nützt nichts, alte Denkmuster und etablierte Strukturen inkrementell an die neue Zeit anpassen zu wollen. Gerade im Umgang mit Menschen (und das sind Kunden nun mal) kann man über viele neue Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft zurückgreifen, man muss es nur tun. Nur wer liebt, wird auch geliebt, das gilt auch für die Kundenbeziehung.