Aus der Krise eine Chance gemacht? Corona bewegt Händler zu innovativen Lösungen

Judith HellhakeGeschätzte Lesedauer: 4 Minuten

COVID-19 und die damit verbundenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemiestellen insbesondere den stationären und inhabergeführten Handel vor enorme Herausforderungen. Sechs Wochen nach dem Lockdown – und aktuell in einer neuen Situation mit Lockerungen –blicken wir auf unsichere Wochen zurück und sprechen über Konzepte, die uns überraschten.

Ladenschließungen, schrittweise Öffnungen – die Maßnahmen jüngster Zeit verlangen von Händlerinnen und Händlern kurzfristiges Agieren und erfordern eine hohe Anpassungsbereitschaft, um die Schnittstellen zu Ihren Kundinnen und Kunden weiterhin möglichst reibungslos aufrechterhalten zu können. Wichtig ist bei all der Dynamik immer wieder der Blick auf die Kunden. Ein positives Signal für den stationären Handel:Zwei von drei Konsumenten zeigen sich bereit, lokale Geschäfte weiterhin zu unterstützen. Ein Drittel nehmen dazu auch Serviceleistungen wie Click & Collect oder Lieferservices wahr, so der Corona Consumer Check des IFH Köln. Zudem wird ersichtlich: Die Bereitschaft der Konsumentinnen und Konsumenten online Produkte zu bestellen, ist gestiegen. So hat bereits jeder Fünfte zum Onlinekanal gewechselt. Hier zeigt ein Blick auf den zeitlichen Verlauf der Krise eine interessante Entwicklung: Wurden in den ersten Wochen des Lockdown im März in erster Linie Produkte wie Hygieneartikel und Lebensmittel, die zu zeitweilig schwer erhältlich waren, online bestellt, so bestellten die Befragten einen Monat später vornehmlich Kleidung und Schuhe im Internet.

 

Köder des stationären Handels

Um Kunden nicht langfristig an den Onlinehandel zu verlieren, sind kreative und zielgruppenorientierte Maßnahmen gefragt. Wir zeigen beispielhaft auf, wie betroffene Unternehmen mit neuen Ideen den Austausch mit ihren Kunden weiterhin aufrechterhalten. Weitere Informationen zu Praxisbeispielen und lokalen Plattformen finden Sie hier.

Weiterhin Präsenz zeigen: Soziale Medien bieten sich als Werkzeug an, auch ohne Onlineshop Produkte zu präsentieren. Das zeigt beispielsweise der Münchener Modeladen „Mohrmann Basic“, der unter dem Hashtag „#windowshopping für zu Hause“ mehrere kurze Filme mit seiner Produktauswahl postet. Außerdem werden gekaufte Produkte binnen 3-4 Tagen von den Mitarbeitern bis zur Haustür ausgeliefert. Ein kleiner Schritt, der große Auswirkungen haben kann.

Nicht selten locken Händler aktuell mit Gutscheinangeboten, die Rabatte inkludieren. Auch vor diesem Hintergrund wurden lokale Plattformen entwickelt, die Händler dabei unterstützen sollen, Gutscheine zu vermarkten. Auf der Kölner Plattform „Veedelsretter“ können Helfer mit dem Kauf eines Gutscheins ihre Lieblingsgeschäfte und Kneipen unterstützen. Bei der Aktion „Support Your Local Heroes“ werden T-Shirts zum Verkauf angeboten und der Erlös wird dem vom Kunden ausgewählten Lokal zugeschrieben. Diese Plattformen sind beim Kunden aktuell noch nicht fest verankert. Etwas mehr als jeder zehnte Kunde hat in der Krise Produkte über eine solche Plattform bezogen. Gleichwohl bieten sie dem Handel bereits jetzt eine Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen und Frequenz für das eigene Geschäft zu erzeugen.

Dass man online nicht auf professionelle und persönliche Beratung verzichten muss, zeigt der Hamburger Anbieter von Zimmerpflanzen „Winkel van Sinkel“, der mit seiner Dschungelatmosphäre punktet. Kunden können Termine für Videoanrufe vereinbaren und Emails mit Fotos von den Standorten schicken, die bepflanzt werden sollen. Berater helfen dann individuell die richtigen Pflanzen zu finden und lassen diese dann direkt zur angegebenen Adresse ausliefern. Alternativ können Kunden ihre Wahl im Ladengeschäft abholen. Wartezeiten vor Ort werden somit gezielt reduziert, was den Einkauf für die Zielgruppe angenehm gestaltet. Kundenservice, der sich sehen lässt, zeigte die Buchhandlung Uslar & Rai. Nach Eingang der Bestellung auf der Webseite, per Email oder Telefon wurden Waren am selben Tag per Fahrradkurier ausgeliefert. Ganz nach dem Motto: Wenn der Kunde nicht zum Handel kommt, dann kommt der Handel zum Kunden.

Was wir allein nicht schaffen, das machen wir jetzt zusammen?

Aldi und McDonald’s machen es vor: Kooperationsansätze können ein Weg sein, um Mehrwerte für mehrere Seiten zu generieren und Kundenwünschen bestmöglich nachzukommen. So bieten sich auch für kleine Händler Möglichkeiten zur Kooperation mit anderen Geschäften an. Eine gute Alternative für Restaurants oder Hotels zeigen die Pensionsbetreiber Jörg und Katja Linden aus der Region Trier, die Speisen zum Aufwärmen zubereiten und diese in Zusammenarbeit mit Edeka im Lebensmitteleinzelhandel verkaufen. Auch dies ist ein Umweg, um den eingeschränkten Kundenkontakt ein Stück weit zu umgehen.

Eine wichtige Option zur Vernetzung bietet auch die LinkedIn Gruppe „Händler helfen Händlern“. Händler aus verschiedenen Geschäftsfeldern erhalten hier aktuelle und unabhängige Informationen über Hilfsprogramme und -fonds sowie Impulse zu adaptierten Geschäftsmodellen. Der Austausch der Akteure untereinander und mit „Machern“ der Branche bietet sowohl Perspektiven und stößt Veränderungsprozesse an. Ansätze werden hier zum Beispiel auch mit Blick auf die alternative Nutzung von Ladenflächen gesehen: So wird ein zwischenzeitlich geschlossenes Reisebüro kurzfristig zur Ausstellungsfläche für einen Fahrradanbieter. Es entsteht ein sogenannter Pop-up-Store.

Keine Frage: Ideenaustausch und die Vernetzung von den richtigen Ansprechpartnern und Interessengruppen muss in dieser Zeit groß geschrieben werden. So hat das IFH Köln zusammen mit der Initiative „Händler helfen Händlern“ und unter Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie den erfolgreichen Business Hackathon „Retail Hack“ gestartet, um neue Geschäftskonzepte zu entwickeln.

Nicht zu vergessen in der aktuellen Situation sind jedoch auch die Innenstädte und ihre Infrastruktur, die durch die Coronamaßnahmen vieler Orts massiv bedroht sind. Hier übernehmen Wirtschaftsförderungen, Stadtmarketing und Stadtentwicklung eine große Verantwortung nicht nur als lokaler Kümmerer, Koordinatoren und Konzeptionierer, sondern auch bei der Bewertung von Lösungsansätzen. Deshalb soll im Dialog der LinkedIn-Gruppe “Innenstadt und Corona-Krise” aufgezeigt werden, welche Ideen und Maßnahmen vielversprechend sind, wo Hilfe möglich ist und wie Erneuerung für die Zeit nach Corona aussehen und starten kann.

Am (digitalen) Ball bleiben

Mit der richtigen Kommunikation und dem notwendigen Zusammenhalt bietet die Krise eine Chance, neue Erfahrungen mit digitalen Lösungswegen zu machen und bestehende, teils überholte, Geschäftsmodelle zu modernisieren. Fraglich ist, wie sich diese Tendenz langfristig entwickeln wird. Klar ist hingegen: Egal ob soziale Medien, Newsletter oder Kundenhotline – Händler müssen trotz großer Herausforderungen Kommunikationswege finden, um ihren Kunden mitzuteilen, dass sie weiterhin als Anbieter am Markt sind. Auch wenn sich der Aktionsrahmen von Händlern durch Lockerungen stetig verändern kann und wird, bleibt auf Seiten der Verbraucher eine gewisse Verunsicherung nicht unbemerkt:

„Wir sehen bereits jetzt, dass sich das Konsumentenverhalten durch COVID-19 verändert hat. Einkaufen ist noch nicht wieder vergleichbar mit dem gewohnten Stadtbummel vor der Pandemie – auch wenn weitere Lockerungen wiederum zu Veränderungsprozessen führen werden. Wir behalten diese Entwicklung im Auge. Anbieter sollten eigene Aktivitäten regelmäßig hinterfragen und aktuellen Bedingungen anpassen. Dass es gelingen kann, trotz der Herausforderungen auch weiterhin auf dem Radar der Zielgruppe zu erscheinen, zeigen die demonstrierten Beispiele“, so Dr. Ralf Deckers, Bereichsleiter und Ansprechpartner für den „Corona Consumer Check“ am IFH Köln.

Wird Corona zu einem „Beschleuniger“ für digitale Umsetzungsmaßnahmen? Die Zukunft wird es zeigen – wir bleiben dran.

Weiterführende und aktuelle Informationen und Hilfestellungen in der besonderen Corona-Situation bieten auch unsere Webinare und Unternehmenssprechstunden vom Kompetenzzentrum Handel. Diese können Sie hier einsehen und sich kostenfrei anmelden / informieren.