Jeder 5. Online-Käufer war im Fachhandel und hat dort nicht gekauft

Frank RehmeGeschätzte Lesedauer: 4 Minuten

Dieser Artikel erschien zuerst auf Zukunft des Einkaufens

Eine Befragung zeigt, dass rund 20 Prozent aller Online-Käufer sich vorher im Fachhandel informiert haben. Dieser Wert ist seit 2018 konstant. Das heißt, dass jeder fünfte potenzielle Kunde, der einen Laden aufgesucht hat, diesen ohne zu kaufen wieder verlässt. Ein Potenzial, das der stationäre Handel heben muss.

Schon lang klagen stationäre Händler über ROPO (Research Offline, Purchase Online), Showrooming oder auch gern emotional aufgeladen, über „Beratungsklau“. Menschen gehen in den stationären Handel, probieren Produkte aus, lassen sich ausgiebig beraten und kaufen dann doch woanders, meist bei einem anderen Händler online. Dies zeigt einerseits eine der großen Stärken des stationären Handels, andererseits auch einige seiner schmerzhaftesten Schwächen: fehlendes oder suboptimales Online-Angebot, Abschlussschwäche des Verkaufspersonals, mangelnde, emotionale Kundenbindung.

Was können stationäre Händler tun, um auch diesem Teil der kaufwilligen Kunden, die immerhin schon im Laden sind, ein attraktives Angebot zu machen? Ansatzpunkte liefern die Preise, Verfügbarkeit, Prozesse, das Shopping-Erlebnis, die Kundenbindung und das POS-Marketing.

Preis

Gern wird im stationären Handel betont, dass insbesondere durch die gute Beratung (Qualifikation der Mitarbeitenden) und die hohen Mieten die Produktpreise höher sein müssten. Das sind bei der Innensicht  sicherlich schlüssige Aspekte. Doch den Konsumenten interessieren diese eher wenig. Ihm muss für einen höheren Preis auch ein „wahrnehmbares Mehr“ geboten werden. Was genau dies ist bzw. sein kann, hängt vom Kunden und Angebot des Händlers ab: Erlebnis, Atmosphäre, Community, Zusatzservices, Zugaben etc. Die Zahlbereitschaft für Beratung ist gering, also geht es viel mehr um eine emotionale Inszenierung der Produkte und vor allem des Einkaufserlebnisses. Dies lässt den Preis als primäres Entscheidungskriterium in den Hintergrund treten.

Wer dies nicht leisten kann oder will, muss preislich mindestens gleich auf mit den Online-Anbietern sein. Besser wäre es, sogar noch günstiger zu sein, wenn man preissensitive Käufer mit Standard-Produkten adressiert. Vielleicht ist es an der Zeit, das eigene Sortiment einmal auf den Prüfstand zu stellen.

Sofortness

Gerade Online-Käufer sind es gewohnt und erwarten es, dass sie den Kauf unmittelbar abschließen können. Ein „Haben wir nicht da, können wir aber besorgen. Sie können es dann in drei Tagen hier abholen“ funktioniert für sie nicht. „Wir bestellen es für Sie und Sie haben es morgen bei sich zu Haus“ geht da schon eher. Ebenso eine direkte Bestellmöglichkeit direkt am Produkt, z.B. in Form eines QR Codes, wie es Freiraum in Berlin macht, kann eine Möglichkeit sein, den Sprung von analog zu digital für die Kunden möglichst bequem zu gestalten.

Nicht nur eine eigene eCommerce-Struktur (Warenwirtschaft, Online-Shop etc.) ist unerlässlich, auch müssen die Verkaufsmitarbeitenden Zugang zu diesen Systemen haben, bestenfalls per Tablet oder Smartphone, damit das Verkaufsgespräch optimal unterstützt wird.

Prozesse

Der schönste Kundenservice muss scheitern, wenn die dahinterliegenden Prozesse nicht reibungslos funktionieren. In einer kundenzentrierten Omni-Channel-Welt, in der es nicht nur unzählige Touchpoints mit den Kunden, sondern auch mit Zulieferern, Marken, Mitarbeitenden und Dienstleistern gibt, müssen Standard-Prozesse optimiert und weitgehend automatisiert sein. Kostbare Ressourcen der Mitarbeitenden sollen für die Kunden zur Verfügung stehen und möglichst nicht für die internen Prozesse. Supply Chain, Warenwirtschaft, Lieferservices, Click & Collect bis hin zur Buchführung müssen möglichst ohne zu viel manuelle Steuerung durch Mitarbeitende erfolgen. Nur so können Kosten minimiert und Bewegungsspielräume für die zunehmend komplexer und personalisierter werdende Kundenbetreuung geschaffen werden.

Erlebnis

Alle reden vom Einkaufserlebnis, doch was ist das überhaupt? Viele erwarten auf diese einfach klingende Frage auch eine einfache Antwort. Doch die gibt es nicht. Was genau für wen ein Erlebnis ist, lässt sich nicht in „Rezepten“ formulieren, die der Handel dann nur noch „nachkochen“ muss. Hier muss jede*r Händler*in definieren, was sie für welche Kunden leisten müssen, können und wollen. Und diese Definition beginnt damit, dass man die eigenen Kunden, ihr Verhalten, ihre Wünsche, Bedürfnisse, Motivationen und Kontexte kennt. Hier helfen Kunden Personas, die genaueren Ansichten der Zielgruppen, genau diese Informationen strukturiert zu erheben. Die Daten aus dem eigenen Geschäft dienen dann der Überprüfung, Modifizierung und Optimierung dieser Annahmen. Wer diesen Startpunkt vernachlässigt, wird dauerhaft im Nebel stochern und es vielleicht „Bauchgefühl“ nennen. Kenne ich meine Kunden und ihre Erwartungshaltung, weiß ich, was ich ihnen anbieten muss. Ob ich dies vollumfänglich kann und will, steht auf einem anderen Blatt. Diese Fragen muss die eigene Unternehmensstrategie beantworten. Am Ende steht dann ein Angebot und eine Vorgehensweise, die den Kunden ein einzigartiges, emotionales Erlebnis in Verbindung mit dem Kauf verschafft.

Bindung

Das Shopping-Erlebnis endet nicht mit dem Kauf, sondern hier beginnt der zweite Akt der Customer Journey. Es gilt, die Kunden zum Wiederkommen zu bewegen. Nicht durch Penetranz, sondern durch Relevanz. Dies wird Händler*innen leicht fallen, wenn sie wissen, wie ihre Kunden ticken (siehe Erlebnis) und ihr Selbstbild, ihre eigene Marke (Rolle) entwickelt und erkennbar ist. Auch hier gibt es keine einfachen Rezepte, denn eine gute Kundenbindungsstrategie, jenseits der 10er-Stempelkarte, muss akribisch entwickelt und gut umgesetzt werden. Hierzu gehört es nicht nur die Frage zu beantworten, was genau denn relevant für die Kunden ist, sondern das System muss in Prozesse und Datenanalysen eingebunden werden. Denn nur die Daten zeigen im Zeitverlauf, ob die getroffenen Maßnahmen die gewünschten Effekte haben.

PoS-Marketing

Sortiment und ergänzende Angebote und Services sind auf die Kunden ausgerichtet, die Preise sind attraktiv, das Verkaufspersonal ist gut ausgebildet und optimal ausgestattet. Oben erwähnte Studie zeigt, dass Menschen großen Wert auf Testberichte legen. Es ist also naheliegend, Tests und Bewertungen auch an den POS zu bringen. Die Kunden werden sie ohnehin suchen und da ist es besser, sie bekommen die Informationen von mir, als von einer großen Online-Handelsplattform. Ebenso ist das Cross Selling eine noch häufig vernachlässigte Disziplin in den Läden. Auch hier spielt die digitale Ausstattung des Personals eine große Rolle, möchte man seine Mitarbeitenden in die Lage versetzen, umfassende Verkaufsberatungen durchführen zu können. Dies sind nur einige wenige Punkte im POS-Marketing, die ich hier herausgegriffen habe. Es ist ein weites Feld und auch hier gibt es keine einfache Standard-Lösung. Doch digitale Technologien am POS können das weitgehend analoge Einkaufen zu einem echten Erlebnis machen.

Fazit

Ich habe hier nur einige Aspekte aufgegriffen, wie man das Thema Showrooming angehen kann. Es ist komplex und einfache Antworten auf komplexe Fragestellungen sind meist falsch. Dennoch sollte kein stationärer Händler es als gegeben hinnehmen, dass ein Fünftel aller Menschen, die bei ihm durch die Tür kommen, kaufen – nur nicht bei ihm. Das muss in der Händlerseele einfach weh tun. Die „Schuld“ hierfür liegt nicht beim Kunden und Schuldzuweisungen an ihn sind so sinnvoll, wie die eigenen Schaufenster zuzukleben.

Natürlich wird man nicht jeden Kunden überzeugen können. Es gibt eben auch Menschen, die dieses Verhalten ganz bewusst ausleben. Diese wird man nie erreichen können und muss sie aushalten. Doch die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass in den 20 Prozent Nicht-im-Laden-Kaufenden einige sind, denen man ein Angebot machen kann, das sie auch annehmen werden. Und da diese Menschen schon im Laden stehen, wäre es sträflich, sie wieder ziehen zu lassen.

Sich der Aufgabe zu stellen, diese potenziellen Kunden zu „echten“ Kunden zu machen und sie zu halten, mag schwierig erscheinen. Doch wer will greifbare Umsätze einfach so liegen lassen?

Die Ergebnisse der Befragung, die durch Splendid Research im Auftrag des Hightext Verlags durchgeführt wurde, können hier nachgelesen werden.